von Prof. Dr. Anne Ratzki                                                      (12/2020)

Ein erster Schritt zu einer Schule für Alle ist: Jede Schule behält die Schüler und Schülerinnen, die sie aufgenommen hat und führt sie zu einem Abschluss.

Die Frage, die sich viele stellen: Wird es einen Neuanfang geben nach Corona? Eine Weiterentwicklung auf dem Weg zu unserem Ziel: Eine Schule für Alle?

Gründe dafür gibt es genug.

Die soziale Trennung der Schüler*innen wurde in Corona-Zeiten überdeutlich. Wer keine Hilfe zuhause erhielt, wer keine digitalen Endgeräte besaß, war schnell abgehängt. Das traf Migrantenkinder ebenso wie Kinder aus armen Familien. Wie Gymnasien damit umgehen, zeigt das Hamburger Beispiel: Jede dritte Stadtteilschule (Gesamtschule) musste dort mitten in der Coronakrise neue siebte Klassen für abgeschulte Gymnasiasten einrichten!1)

sitzen

Hier wird deutlich, wie richtig die erfolgreiche Initiative der Gesamtschulstiftung in NRW gegen ein Abschulen im letzten Schuljahr war. 2)

Aktuell lassen zwei Untersuchungen über die Wirkungen von Gesamtschulen aufhorchen:

  • Das Ansteigen guter Abschlüsse vor allen der benachteiligten Schüler*innen im Konkurrenzsystem (nur Gymnasien und Gesamtschulen) in 5 Bundesländern hat Joachim Lohmann erforscht und beschrieben. 3)

  • GGG (Gemeinnützige Gesellschaft Gesamtschule) und Schulleitungsvereinigung der Gesamtschulen NRW haben erneut die Grundschulgutachten von Gesamtschul-Abiturient*innen verglichen: Nur 21% der Abiturient*innen hatten am Ende der 4.Klasse die Prognose „gymnasial geeignet“ erhalten. Bei Abiturient*innen mit Migrationshintergrund waren es sogar nur 11% , denen die Grundschullehrkräfte einen höheren Abschluss zutrauten. 4)

  • Dieselbe Untersuchung zeigt, dass 47% der an Gymnasien abgeschulten Schüler an der Gesamtschule das Abitur erreichen.

Die soziale Benachteiligung in der Schule beginnt bereits in der Grundschule, mit den Grundschulgutachten. Dieses sagt definitiv nichts über den tatsächlichen Schulerfolg aus, sortiert aber Schüler*innen vor allem nach der sozialen Stellung ihrer Eltern. Kinder aus armen Familien und Migrantenkinder bekommen selten eine Schulformempfehlung Gymnasium

Das Gymnasium verstärkt die soziale Spaltung: Es ist die Weigerung, sich an den gesellschaftlichen Problemen (Flucht, Armut, Behinderung) zu beteiligen. Es verweigert sich der Inklusion und auch weitgehend der schulischen Integration von Geflüchteten. Die Gesamtschule im Konkurrenzsystem (nur Gymnasien und Gesamtschulen) ist damit für alle Probleme zuständig, das Gymnasium präsentiert sich als problemfreie Schule.

Es sind vor allem Schüler*innen ohne häusliche Unterstützung, die oft sitzen bleiben und schließlich die Schule verlassen müssen. Schüler*innen aus besser verdienenden Familien, aus der sozialen Mittel und Oberschicht bleiben dann weitgehend unter sich. Während die Gesamtschule auch viele Kinder aus benachteiligten Familien zum Abitur führt, verstärkt das Gymnasium unter dem Vorwand der Leistungsauslese die soziale Spaltung der Gesellschaft.

Der Kampf gegen das Abschulen vom Gymnasium ist damit auch ein Kampf gegen ein entscheidendes Instrument der sozialen Spaltung.

Hier müssen wir ansetzen: Abschulen darf keine Option mehr sein, das Gymnasium muss alle Schüler*innen behalten, die es aufgenommen hat, und sie zu guten Abschlüssen führen. Das würde den Abstand zwischen den beiden Schulformen Gesamtschulen und Gymnasien verringern und Förderung ins Gymnasium bringen. Damit könnte eine Angleichung der heutigen Konkurrenten entstehen, bis zur gemeinsamen „Schule für Alle“.

Handlungsvorschlag: Durch Corona wird dieses Schuljahr kein „normales“ Schuljahr. Wie schon im vorigen Schuljahr sollte auf Sitzenbleiben und Abschulen verzichtet werden. Möglichst viele integrierte Schulen, viele Personen, Verbände, Parteien und Initiativen sollten diese Forderung in allen Bundesländern erheben.

Dies sollte dann in die Forderung übergehen, das Abschulen auf Dauer zu unterbinden. 5)

 

Fundstellen:

1) GGG Landesverband Hamburg, Pressemitteilung vom 28.Juli 2020

2) Ingrid Wenzler: 10 Jahre Gesamtschulstiftung. In: Die Schule für alle. GGG Bund 2020/1, S. 40-41

3) Joachim Lohmann: Die Auflösung der Haupt-und Realschule zugunsten der Gesamtschule ist ein bedeutender Reformschritt. 2020. Unveröffentl. Manuskript, Download in: ggg-web.de

4) GGG NRW und SLV Gesamtschule: Pressemitteilung vom……: Abiturientinnen und Abiturienten an Gesamtschulen

5) vgl. Dazu Ingrid Wenzler, 10 Jahre Gesamtschulstiftung.(s.o.): „Eine solche gemeinsame Stoßrichtung der sehr großen Zahl integrierter Schulformen, würde sie nicht bundesweit eine politische Kraft entfalten, das Selbstgefühl positiv beeinflussen, den Zusammenhalt der Schulen stärken, unser Gewicht nutzen? In der Gesamtschulstiftung halten wir eine solche Kampagne für einen sinnvollen nächsten gemeinsamen Schritt auf dem noch langen Weg bis zur Erreichung der einen Schule für alle Kinder.“