von Brigitte Schumann

Der Mangel an Sonderpädagogen an allgemeinen Schulen ist hausgemacht. Auch für NRW gilt, was Berechnungen des Landesrechnungshofs Niedersachsen zeigen: Ein Ende der Doppelstruktur aus Sonder- und Regelschule hieße mehr Förderung für alle Schüler.

Der niedersächsische Landesrechnungshof  hat die sonderpädagogische Doppelstruktur von Sonder-und Regelschule kritisiert und im Rahmen einer Modellrechnung ermittelt, dass bei Auflösung der existenten Sonderschulen für die Förderschwerpunkte Lernen und emotionale und soziale Entwicklung sämtliche Klassen aller Schulformen in Niedersachsen mit ca. 6 Stunden zusätzlichem Förderunterricht pro Woche ausgestattet werden könnten.  

Damit hat der Landesrechnungshof nicht nur der Bildungspolitik in Niedersachsen gezeigt, dass der vielbeklagte Mangel an Sonderpädagogen in den allgemeinen Schulen „hausgemacht“  ist und nicht alternativlos hingenommen werden muss. In NRW könnte auf diese Weise dem Ressourcenmangel ebenfalls abgeholfen und die Qualität der Förderung verbessert werden. 

Vergeudung von Umverteilungspotenzial

Aber stattdessen will das nordrhein-westfälische Schulministerium mit der „Neuausrichtung der Inklusion in Schulen“ auch die Sonder- und Verbundschulen für Schülerinnen und Schüler mit Lern-und Entwicklungsproblemen um jeden Preis am Leben erhalten, die wegen rückläufiger Schülerzahlen aufgelöst werden  müssten. Im Gegenzug wird mit der geplanten Reduzierung der Schulstandorte für das Gemeinsame Lernen in der Sekundarstufe die inklusive Schulentwicklung im Land abgewürgt. Scheinheilig wird diese Entscheidung  mit einem effizienteren Ressourceneinsatz und einer Qualitätsverbesserung begründet. 

Die Finanzierung des kostspieligen und ineffizienten Sonderschulsystems mit dem zusätzlichen Mehrbedarf an Personalkosten für extrem kleine Einheiten auf Kosten der Inklusionsentwicklung sollte den Landesrechnungshof in NRW interessieren. Zumal die Erhaltung der Doppelstruktur nicht mit der Umsetzung der Inklusionsverpflichtung nach Artikel 24 der UN-BRK begründet werden kann, sondern ihrer Verwirklichung entgegensteht.  

Sonderschule über alles!

Als allererste Amtshandlung hat das Schulministerium mit Verordnung vom 24. August 2017 ermöglicht, dass auch Sonderschulen unterhalb der Mindestgröße bis zum 31. Juli  2019 fortgeführt werden können. Bei der Festlegung der künftigen Mindestgrößen, mit deren Bekanntgabe das Ministerium noch „hinter dem Berg hält“, werden erwartungsgemäß die möglichst gute Erreichbarkeit und das Wahlrecht der Eltern eine Schlüsselrolle spielen, während diese Faktoren bei der neuen Standortbestimmung der Schulen des Gemeinsamen Lernens offensichtlich keine Überlegung wert sind.  

Um ein wohnortnahes Sonderschulangebot im Bereich der Lern-und Entwicklungsprobleme zu ermöglichen, will das Ministerium auch die Einrichtung von Förderschulgruppen mit mindestens 14 Schülerinnen und Schülern an weiterführenden Schulen als Teilstandort einer Förderschule ermöglichen. Damit wird die alte Konstruktion der „sonderpädagogischen Fördergruppe“ aus der Mottenkiste geholt, die im Schulversuch bei den beteiligten Schulen nicht gut abgeschnitten hatte und wegen ihres diskriminierenden Charakters von Rot-Grün ad acta gelegt worden war. 

In der Funktion  modifizierter Kompetenzzentren sollen Sonderschulen in Kooperation mit allgemeinen Schulen und Netzwerken eine aktiv beratende und unterstützende Rolle spielen und mit zusätzlichen Personalressourcen ausgestattet werden.

Gewichtige Gründe gegen Doppelstruktur 

Die Vertragsstaaten der UN-BRK haben „so zügig und wirksam wie möglich Fortschritte in Richtung der vollen Verwirklichung  von Artikel 24 zu machen. Dies ist nicht mit der Unterhaltung  von zwei Bildungssystemen vereinbar: einem Bildungssystem und einem Sonderbildungssystem/auf Segregation beruhenden Bildungssystem“.  Dies ist der Allgemeinen Bemerkung Nr.4 über das Recht auf inklusive Bildung zu entnehmen, die der zuständige UN-Fachausschuss den Vertragsstaaten als maßgebliche Vorgabe für die Umsetzung inklusiver  Bildung 2016 an die Hand gegeben hat. 

Auch die Monitoringstelle  hat darauf mit Nachdruck verwiesen und von der  neuen Landesregierung gefordert, sie solle „personelle und finanzielle Ressourcen zum Aufbau der inklusiven Bildung  umschichten sowie schrittweise und auf absehbare Zeit alle Förderschulen schließen“.  Sie war 2017 offiziell damit beauftragt worden, „die Begleitung und Überwachung der Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention in Nordrhein-Westfalen  zu intensivieren“.  

Die Professoren Klemm und Preuss-Lausitz hatten in ihrem Gutachten für die Landesregierung schon 2011 angemahnt, die Sonderschulen für Lernen, emotionale und soziale Entwicklung und Sprache auslaufen zu lassen. Sie  begründeten diese Maßnahme mit der Notwendigkeit, „die schulische Absonderung von Armutskindern zu vermeiden, die sich zudem sowohl kognitiv als auch für die gesamte Persönlichkeitsentwicklung nachteilig auswirkt“.