Für die menschenrechtskonforme Umsetzung der UN-Behindertenrechtskonvention (UN-BRK) hat der Bund trotz der Bildungshoheit der Länder die Gewährleistungspflicht und die Gesamtverantwortung.

Der für die Umsetzung der Konvention in den Vertragsstaaten zuständige UN-Fachausschuss (CRPD) hat anlässlich seiner Überprüfung des zweiten und dritten Staatenberichts von Deutschland die Rolle des Bundes in seinen Empfehlungen zur Implementation der UN-BRK unmissverständlich zum Ausdruck gebracht. An den Vertragsstaat Deutschland gewandt, lautet die Aufforderung, dass der Bund für die verbesserte Koordination zwischen den Ländern zu sorgen hat und sicherstellen muss, dass die Aktionspläne der Länder in Übereinstimmung mit der Konvention sind. Fehlentwicklungen müssen korrigiert werden. Die von deutscher Politik und Verwaltung immer wieder geltend gemachten föderalen Grenzen zwischen den Kompetenzen von Bund und Ländern in schulischen Angelegenheiten sind daher völlig unakzeptabel und müssen überwunden werden.

Kritiker:innen im Recht

Den Mangel an Verantwortungsübernahme hat die Monitoring-Stelle für die UN-BRK am Deutschen Institut für Menschenrechte wiederholt der Bundesregierung vorgehalten, ohne sich jedoch Gehör verschaffen zu können. Auch zivilgesellschaftliche Organisationen sind wegen der Verweigerung des Bundes, Gesamtverantwortung für die völkerrechtlichen Verpflichtungen zu übernehmen, aktiv geworden. Sie haben bislang erfolglos versucht, über den Deutschen Bundestag mit der Forderung nach Einrichtung einer Enquetekommission zur UN-BRK politischen Handlungsdruck zu schaffen.

Der regierungskritische Parallelbericht der Monitoring-Stelle zum deutschen Staatenbericht hat zusammen mit anderen zivilgesellschaftlichen Eingaben an den Fachausschuss, der Unterschriftenaktion des Vereins „Politik gegen Aussonderung“ (PogA) für die Einrichtung einer Enquetekommission und den öffentlichkeitswirksamen Protestcamps des Elternvereins mittendrin e.V. während der Ausschusssitzung in Genf bewirkt, dass der Fachausschuss dezidiert und nachdrücklich die Verantwortung des Bundes gegenüber den Ländern eingefordert hat.

Fehlentwicklung korrigieren! 

Die Mängelliste bei der Umsetzung des Rechts auf inklusive Bildung, die der Fachausschuss dem Bund in seinen Empfehlungen zur Bearbeitung vorgelegt hat, ist lang. Besorgt äußert sich der Ausschuss über die Dominanz des Förderschulsystems und die zahlreichen Barrieren für Eltern, ihre Kinder mit Behinderungen in allgemeinen Schulen anzumelden. Kritisiert wird die fehlende Zugänglichkeit zu inklusiven Angeboten wegen unzureichender Ausstattung und unzureichenden Beförderungsmöglichkeiten. Vermisst wird eine wirksame Steuerung der inklusiven Schulentwicklung auf der Ebene der Länder und der Kommunen. 

Der Ausschuss fordert einen umfassenden Gesamtplan für den zügigen Übergang des Förderschulsystems zu einem inklusiven Schulsystem in enger Konsultation mit den Betroffenen und ihren Vertretungen. Angemahnt wird eine kontinuierliche Weiterbildung der Lehrkräfte und des pädagogischen Personals für inklusive Bildung und Maßnahmen zur Bewusstseinsbildung gegen fehlgeleitete Vorstellungen von Inklusion. Die Datenbasis über die Inklusionsentwicklung muss verbessert werden. Das gilt insbesondere für die Gruppe der Kinder mit Fluchterfahrung. 

Bundesregierung und Bundestag am Zug

Die Kultusministerkonferenz (KMK) ist offenbar unfähig, die notwendigen Korrekturen auf Länderebene vorzunehmen. Sie hat mit der konventionswidrigen Etablierung eines dualen sonderpädagogischen Fördersystems in segregierten Förderschulen und allgemeinen Schulen die Förderschulen zum Teil eines inklusiven Schulsystems erhoben. Der Vertreter der KMK hat genau mit dieser Definition die Existenz von Förderschulen vor dem Genfer Ausschuss verteidigt. Bundesregierung und Bundestag sind mit den Empfehlungen des Fachausschusses aufgefordert, die Weichen für eine menschenrechtskonforme schulische Inklusion zu stellen.

Keine Ausreden mehr!

Eine Bunderegierung, die für sich in Anspruch nimmt, eine wertegeleitete und menschenrechtsbasierte Politik betreiben zu wollen, darf sich vor ihrer völkerrechtlichen Verantwortung nicht wegducken. Die demokratischen Abgeordneten des Deutschen Bundestages müssen die Bundesregierung dazu auffordern, ihre Verantwortung wahrzunehmen.

Wie die Zusammenarbeit von Bund und Ländern für eine inklusive Schulpolitik unter Beachtung der föderalen Verfassung aussehen kann, dazu hat das Deutsche Institut für Menschenrechte konstruktive Vorschläge gemacht.

Brigitte Schumann  (09/2023)

 

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